Version 0.96
Vortrag: Ich sehe 'was, was du nicht siehst.
Wenn Hacker überwachen
Was gehört dazu, um selbst zum Überwacher zu werden? Ein schlechter Charakter, etwas böser Wille – oder steckt in jedem von uns ein bisschen zu viel Neugier? Im Rahmen des Kunstprojektes „Es gibt viel zu tun – hau'n wir ab. [Die Untersuchung]“ von Eva Olivin und Robert Verch wurde ein einzigartiges gesellschaftliches Experiment durchgeführt. Ein Experiment, welches die allgemeine Neugier des Menschen auf die Probe stellt: Plötzlich findet man sich auf der anderen Seite der Kamera wieder – und bevor man "Privatsphäre" auch nur denken kann, stellt sich die Frage nach der Grenze von Neugier und Voyeurismus ganz handfest.
Eine seit über 20 Jahren verlassene Chemnitzer Wohnung, die voll mit persönlichen Gegenständen ausgestattet und unberührt 2013 aufgefunden wurde, ist Ausgangspunkt unseres Projektes. Bei den Künstler*innen Eva Olivin und Robert Verch erzeugt die spürbare Präsenz des abwesenden Bewohners noch immer eine Intimität von solcher Heftigkeit, dass Neugier und Schuldgefühle beim Eindringen in die vergessene Wohnung unentwegt miteinander ringen. Im Dämmerlicht lässt sich erahnen, wie das dort geführte Leben ausgesehen haben muss: Liebevoll und verzweifelt zugleich erzählen eigenwillige Gegenstände, persönliche und bürokratische Korrespondenz, Arrangements aus Kitsch und klobiger Sachlichkeit eine Überlebensgeschichte der Nachwendezeit. Doch nichts weist darauf hin, wie die Fortsetzung gelaufen sein mag. Mit ihrer künstlerischen Arbeit, die Intervention, gesellschaftliches Experiment und Ausstellungsprojekt zugleich ist, wollen sie untersuchen, ob jenes Gefühl, das einen beim Betreten der Wohnung unweigerlich beschleicht, mit modernen technischen Mitteln übertragbar ist.
Dafür haben die Künstler*innen mit den Aktivisten des Chaostreff Chemnitz eine Szenerie erschaffen, die eine Zeitreise und Spurensuche in den Räumen des Herrn U. ermöglichte, aber den Gästen die Verhandlung eigener Grenzen von Neugier und Anteilnahme bis hin zu Voyeurismus und dem Eindringen in die Privatsphäre Anderer selbst überlassen sollte. In den Hinterzimmern einer Chemnitzer Bar - der Galerie Hinten zog eine fest eingebaute, dominante Station, deren technische Ausstattung alle Möglichkeiten zur ferngesteuerten Untersuchung jener Wohnung bereithielt, mit neun verschiedenen Kamerabildern und der Steuerung eines Roboters vom 04.04.-06.04.2014 Neugierige in ihren Bann. In der Grauzone zwischen futuristischer Innenarchitektur und profaner Arbeitsumgebung hergerichtet, ließ die Untersuchungszentrale keine eindeutigen Rückschlüsse auf mögliche Urheber*innen oder reguläre Angestellte zu. Während manche der unvorbereiteten Besucher zögerlich den Raum erkundeten, erlagen andere unmittelbar der Sogwirkung der beinahe computerspielartigen Aktionsform. Gleichzeitig verloren die Künstler und Chaoten die Kontrolle über ihre Kontrollinterfaces - die Systeme, die zur technischen Überwachung eingerichtet worden waren wurden zur Belustigung und Verfolgung der Teilnehmer*Innen hinzugezogen.
Viele zum Teil tiefgreifende Änderungen durch die aktuellen technischen Entwicklungen vollziehen sich schleichend und auch ihre Folgen sind für die Meisten unsichtbar. In der Zusammenarbeit von Künstlern und Hackern konnte eine Erfahrungswelt errichtet werden die jene Konsequenzen spürbar werden lässt. Demnach wurde im Anschluss an die experimentelle Phase das Setting für eine Ausstellung aufgegriffen und umgebaut. So entstand ein Reflektionsraum, der die Authentizität der persönlichen Gegenstände und das mit ihnen verbundene Schicksal mit der computergestützen Aneignung gegenüberstellte. Eine wenig später stattfindende Gesprächsrunde mit Autoren und Versuchsteilnehmerinnen beleuchtete die Ergebnisse nochmals aus verschiedensten Blickwinkeln und eröffnete einen breiten Diskurs.
Auf den Datenspuren 2014 möchten wir die Erfahrungen aus dem Projekt teilen und die Diskussion weiterführen.
Info
Tag:
13.09.2014
Anfangszeit:
11:30
Dauer:
01:00
Raum:
Großer Saal
Links:
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ReferentInnen
Chaostreff Chemnitz, Eva Olivin, Robert Verch |